Niederländisch in Belgien
Die aktuelle Sprachsituation in Belgien
Vier Sprachgebiete
Quer durch Belgien verläuft eine Sprachgrenze, die ein einsprachig niederländisches Gebiet im Norden von einem französischsprachigen Gebiet im Süden trennt. Im niederländischen Sprachgebiet liegt wie eine Insel "Brussel-Hoofdstad", ein die Hauptstadt Brüssel umfassendes Gebiet, welches offiziell zweisprachig niederländisch und französisch ist. Im Osten des Landes, an der Grenze zu Deutschland, liegt ein einsprachig deutsches Gebiet. Im Prinzip gibt es also vier Sprachgebiete in Belgien. Die Sprachgrenze wurde 1962 offiziell bestimmt. Seitdem ist bei jedem Quadratzentimeter Boden des Landes festgelegt, zu welchem Sprachgebiet er gehört. In Belgien gilt das sogenannte territorialiteitsbeginsel ("Territorialitätsprinzip"): das Gebiet, in dem man sich befindet, bestimmt die Verkehrssprache. Im Gegensatz zur allgemeinen Überzeugung ist es also nicht so, dass ganz Belgien zweisprachig niederländisch-französisch ist; das trifft allein auf Brussel-Hoofdstad zu, ansonsten handelt es sich um einsprachige Gebiete.
Das niederländische Sprachgebiet
In Belgiens nördlichen Provinzen wird Niederländisch als Muttersprache gesprochen, in den südlichen Provinzen Französisch. Diese Situation besteht schon sehr lang. Die Sprachgrenze in Belgien ist eigentlich ein Teil einer viel größeren Grenze zwischen germanischen Sprachen und romanischen Sprachen in Europa, die wahrscheinlich schon 2000 Jahre existiert. Bereits zur Zeit des Fränkischen Reiches, etwa um das 7. und 8. Jahrhundert, muss der Übergang zwischen einem romanischen Sprachgebiet im Süden und einem germanischen Sprachgebiet im Norden im heutigen Belgien gelegen haben.
Historischer Hintergrund
Um die komplexe Sprachsituation in Belgien und die Merkmale des belgischen Niederländisch zu verstehen, müssen wir uns dem historischen Hintergrund zuwenden.
- Das Mittelalter: die Grafschaft Flandern
- Die Niederlande in der burgundischen Zeit
- Die Trennung der Niederlande
- Die südlichen Niederlande: spanische und österreichische Herrschaft
- Die französische Zeit
- Das Vereinigte Königreich und die Sprachpolitik von Wilhelm I
- Die Belgische Unabhängigkeit
- Die Flämische Bewegung
- Die Anfänge
- Die ersten Erfolge
- Ein zweisprachiges Land?
- Die Radikalisierung der Flämischen Bewegung
- Territorialität
- Das Festlegen der Sprachgrenze
- In Vlaanderen Nederlands ('In Flandern Niederländisch')
- Föderalisierung
Das Mittelalter: die Grafschaft Flandern
Im Mittelalter waren die Lage Landen ("niedere Lande", heutige Niederlande und Flandern) ein Flickenteppich aus verschiedensten Regionen: Grafschaften, Herzogtümer und dergleichen. Wichtig ist, dass der größte Teil von ihnen etwa im 13. Jhd. zum Deutschen Reich gehörte, die Grafschaft Flandern jedoch in den Händen des französischen Königs war. Die Grafschaft Flandern umfasste zu dieser Zeit West-, Oost-, Zeeuws- en Frans-Vlaanderen. Zwischen 1200 und 1400 war Flandern in politischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht das mächtigste Gebiet in den Niederlanden. Bedeutend für Flandern war der Guldensporenslag ("goldene Sporenschlacht") am 11. Juli 1302, als die Flamen sich gegen den französischen König, Philipp den Schönen, und gegen den pro-französischen Adel erhoben. Der französische König schickte Ritter und Bogenschützen, auf flämischer Seite hingegen kämpften nur einfache Bürger. Dennoch konnten sie die französischen Truppen besiegen. Der Guldensporenslag verstärkte das Selbstbewusstsein von Flandern enorm.
De Veldslag der Gouden Sporen
Litho: H.J. Backer, nach Nicaise de Keyser (1.0)
Im Mittelalter war Latein in den Niederlanden die Sprache der Kirche, der Wissenschaft und an den Hochschulen. Die niederländische Sprache wurde ab dem 13. Jahrhundert in amtlichen Texte in den niederländischsprachigen Gebieten verwendet. In der Grafschaft Flandern hatte jedoch auch Französisch eine entscheidende Funktion. Der flämische Adel und wichtige Kaufleute beherrschten wahrscheinlich beide Sprachen um wichtige Kontakte zu unterhalten. (vgl. Einfluss von Latein und Französisch im Mittelalter)
Die Niederlande in der burgundischen Zeit
Im 14. Jahrhundert fand ein politischer Zusammenschluss statt. Die Niederlande gingen im Burgundischen Reich auf. Die burgundischen, französischsprachigen Herzöge ließen sich in Brüssel nieder und Französisch wurde eine wichtige Regierungs- sowie Prestigesprache des Adels. Durch Heiratspolitik fielen die Niederlande anschließend in die Hände der österreichischen Habsburger. Karl V. errichtete im 16. Jahrhundert die Siebzehn Provinzen und verstärkte die politische Einheit der Niederlande. Die Hauptstadt des gemischt niederländisch- und französischsprachigen Reiches war Brüssel.
Die Trennung der Niederlande
Republik der Sieben
Vereinigten Niederlanden
Karte: Joostik
(CC0 1.0 Universell)
Im 16. Jahrhundert kam es in den Niederlanden zu einem religiös motivierten Aufstand, der schließlich zu einer politischen Trennung des Reiches führte. Die rebellischen nördlichen Provinzen erklärten sich unabhängig. Im Jahr 1585 kapitulierte der Süden vor den katholischen Spaniern ("Val van Antwerpen"). Die Trennungslinie, die 1648 im Frieden von Münster endgültig festgelegt wurde, kam ungefähr mit der heutigen Landesgrenze zwischen den Niederlanden und Belgien überein. Ab dieser Zeit haben der Norden und der Süden ihre eigene Geschichte. Das gilt auch für die Sprache. In der selbstständigen Republik im Norden konnte sich auf natürlichem Weg eine Standardsprache entwickeln. Flämische Immigranten, darunter viele intellektuelle und bedeutende Personen, brachten einen gewissen südlichen Einfluss mit.
Die südlichen Niederlande: spanische und österreichische Herrschaft
Der besetzte Süden ging keiner guten Zeit entgegen. Durch die groß angelegte Emigration verloren die Städte in Flandern und Brabant einen Teil ihrer Bevölkerung. Nach der Abriegelung der Schelde war Seehandel nicht mehr möglich, wodurch die Wirtschaft geschwächt wurde. Epidemien (Pest), Kriege und Hungersnot führten wiederholt zu Krisen. Im Frieden von Utrecht (1713) ging das Gebiet an die österreichischen Habsburger, zu denen es bis 1794 gehörte.
Abhandlung von Verlooy
Text: Jan-Baptist Verlooy (1788) (1.0)
Unter der fremden Herrschaft wurde der Süden verfranst ("stark französisiert"). Zwar wurde Französisch nicht von den Österreichern auferlegt, doch "verfranste" die Oberschicht der Bevölkerung in den flämischen Provinzen von selbst. In ganz Europa hatte Französisch in dieser Zeit viel Prestige. Französisch war in den südlichen Niederlanden Kultursprache der höheren Gesellschaftsstände und der Intellektuellen. Es drang bis in die Schulen und die Presse durch. Latein hatte übrigens im 17. und 18. Jahrhundert noch immer einige Funktionen. So war es die Sprache der katholischen Kirche, der Wissenschaft, der Philosophie und an den Hochschulen. Mit anderen Worten lebte Niederländisch nur noch als dialektische Umgangssprache der Bevölkerung in den nördlichen Provinzen weiter, in denen man Französisch nicht verstand. Dort wurde deshalb in der Kirche Niederländisch gesprochen (wodurch die Geistlichen das Volk vor einigen Ideen der Französischen Revolution, welche sich auch gegen Gottesdienste richtete, beschützten). Auch an den Hochschulen wurde weiter Niederländisch gesprochen.
Die französische Zeit
Als Frankreich im Jahr 1794 die südlichen Niederlande eroberte, "verfranste" das öffentliche Leben erst richtig. Die französischen Besetzer sahen die Einwohner des annektierten Gebiets als französische Bürger an: sie mussten sich vollständig assimilieren. Die Idee dahinter war: 'une République, un peuple, une langue' (ein Staat, ein Volk, eine Sprache). Der Vorstellung der Französischen Revolution gemäß, behindern Dialekte die Einheit und Gleichheit in der Republik. Mit diesem Ziel wurde eine Politik der "Verfransung" geführt. Französisch wurde als einzige in der Öffentlichkeit erlaubte Sprache vorgeschrieben: sie musste in der Rechtsprechung, im Unterricht, in offiziellen Dokumenten, aber auch zum Beispiel bei Aufschriften an öffentlichen Gebäuden verwendet werden.
Als einige flämische Gemeindeverwalter den französischen Innenminister auf Schwierigkeiten hinwiesen, die sie bei der Anwendung dieser Gesetzgebung auf den bürgerlichen Stand hatten, antwortete dieser am 20. November 1796: „Das Gesetz, Bürger, bestimmt ausdrücklich, dass alle öffentlichen Akten auf französisch abgefasst sein müssen. Durch die Sprache wurden die Menschen auf höchst intime Art verbunden und Sie müssen nachempfinden wie wichtig es ist, dass dieses neue Band die Bürger der vereinigten Départements an die Republik bindet. Es muss ein Ende gesetzt werden an die Unterschiedlichkeit, die ein Hindernis für diese Einheit bedeuten könnte. Jede Toleranz auf diesem Gebiet ist schädlich für das Allgemeinwohl, nur die allergrößte Notwendigkeit kann sie rechtfertigen, Sie dürfen nur in äußersten Fällen dulden, was Sie im ganzen nicht verhindern können.
Napoleon überquert die Alpen
Porträt: Jacques-Louis
David (1800) (1.0)
Die "Verfransung" der unteren Schichten gelang allerdings nicht, unter anderem aufgrund eines schlecht organisierten Unterrichts und Analphabetismus. Doch drangen stetig mehr französische Wörter und Ausdrücke in die südniederländische Umgangssprache. Napoléon Bonaparte führte eine gezieltere Sprachpolitik. Seine Absicht war es, die gut situierte Mittelschicht (Industrielle, Kaufleute, Beamte) zu "verfransen". Er versuchte das durch Unterricht, Presse und kulturelle Aktivitäten wie beispielsweise das Theater zu verwirklichen. Durch die wirtschaftliche Blüte war die wohlhabende Mittelschicht immer wichtiger geworden; sie wurde stets selbstbewusster und wollte sich von der dialektsprechenden Masse unterscheiden. Unter anderem durch die Sprachpolitik von Napoléon waren sie von der Überlegenheit der französischen Sprache überzeugt und wollten an der prestigeträchtigen französischen Kultur teilhaben.
Durch die "Verfransung" war eine soziale Kluft zwischen den gesellschaftlich höheren Bevölkerungsschichten (Adel und Bürgertum), die französischsprachig waren, und dem gemeinen Volk, welches (mehrheitlich) Niederländisch sprach, entstanden. Wer im Süden höhere soziale Chancen, vor allem einen bessere Arbeitsstelle, wollte, musste die Prestigesprache Französisch lernen. Die südniederländische Muttersprache spielte also eine untergeordnete Rolle. Eigentlich sah es zu Beginn des 19. Jahrhunderts so aus, als ob alle Provinzen des Gebietes, das wir heute Belgien nennen, französischsprachig würden. Aber die Geschichte nahm nach Napoléons Niederlage eine andere Wendung.
Das Vereinigte Königreich und die Sprachpolitik von Wilhelm I.
Willem I
Porträt: Joseph
Paelinck (1819) (1.0)
1815 endete die französische Besetzung. Zwischen 1815 und 1830 gab es eine kurzzeitige Wiedervereinigung von Nord und Süd unter König Wilhelm I., die für die Sprachsituation im Süden und besonders für die Position des Niederländischen sehr wichtig war. Flandern wäre wohl vollständig "verfranst", wenn Wilhelm I. nicht gewesen wäre. Er führte aus der Sichtweise 'eine Nation, eine Sprache', die auch seine französischen Vorgänger vertreten hatten, allerdings eine Sprachpolitik zugunsten des Niederländischen. Das Niederländische wurde 1819 als alleinige offizielle Sprache in den Provinzen West-Vlaanderen, Oost-Vlaanderen, Antwerpen und Limburg, ab 1823 auch im zweisprachigen Brabant ausgerufen. Die ursprünglich französischsprachigen Provinzen im Süden durften Französisch als offizielle Sprache behalten. Dort strebte Wilhelm I. nach einer allgemeinen Zweisprachigkeit.
Wilhelm I. machte Niederländisch in den flämischen Provinzen in verschiedene Domänen verbindlich: in der Verwaltung, in der Rechtsprechung und im Unterrichtswesen. Er strebte danach, das Schulsystem komplett niederländisch auszurichten; auf jeder öffentlichen Schule musste ein Lehrer für Niederländisch eingestellt werden. In den Universitäten von Gent, Löwen, Brüssel und Lüttich wurde ein Lehrstuhl für Niederländisch eingerichtet und es wurden Niederländer aus dem Norden angeworben um Sprach- und Literaturwissenschaft zu dozieren. Wilhelm I. wollte nicht nur die Verbreitung und die Kenntnis des Niederländischen, sondern auch das Prestige der Sprache, fördern. Auch durch diese Anstrengungen wurde eine Generation von flämischen Intellektuellen ausgebildet, die später eine entscheidende Rolle im Kampf für das Niederländische spielen sollte.
Das Pro Patria Denkmal
in Brüssel erinnert
an die Märtyrer der
belgischen Revolution
Foto: Daderot (1.0)
Wilhelm I. konnte allerdings nicht verhindern, dass ein großer Teil der Bevölkerung französischsprachig blieb. Seine Sprachpolitik stieß bei mehreren Gruppen in der Gesellschaft auf Widerstand. Die französischen Muttersprachler in den südlichen Provinzen des Reiches fühlten sich betrogen. Sie sahen die Politik von Wilhelm I. als Gefährdung für das Französische. Die höheren Schichten fühlten sich in gleichem Maße angegriffen; sie befürchteten, dass die überlegene französische Kultur und Sprache bedroht werden. Die Vertreter des "verfransten" Bürgertums (wohlhabende Mittelschicht) konnten nicht akzeptieren, dass Wilhelm I. ihnen Niederländisch aufdrängte und so die individuelle Freiheit angriff. Sie verlangten Freiheit beim Sprachgebrauch. Und schließlich hatten die katholischen Geistlichen Mühe mit dem nördlichen Charakter von Wilhelms Niederländisch: sie fürchteten, dass zusammen mit dem Holländischen auch protestantisches Gedankengut eingebracht würde. Sie traten für die Wahrung der südniederländischen Dialekte ein, um die katholische Tradition zu beschützen.
Die Belgische Unabhängigkeit
Die belgische Nationalhymne,
die Brabanconne.
Viele einflussreiche Figuren und wichtige Gruppen im Süden sprachen sich gegen die Sprachpolitik von Wilhelm I. aus. Der Druck durch den Protest wurde zu groß, in den flämischen Provinzen wurde Französisch wieder bei bestimmten administrativen und gesetzlichen Angelegenheiten zugelassen. Nach der Errichtung des Königreichs Belgien im Jahr 1830 wurde die Sprachfreiheit 1831 im Grundgesetz festgelegt. Die Idee war: der Sprachgebrauch in Belgien ist frei und niemand kann verfolgt werden, weil er eine bestimmte Sprache spricht oder nicht spricht.
In der Praxis bedeutete dieses Prinzip der Sprachfreiheit aber eine Wiederbelebung von Französisch als dominante Sprache in der Öffentlichkeit: es betraf Verwaltung, Gerichte, Armee, Schulen und Hochschulen, Wissenschaft, Handel, Presse, das künstlerische Leben, und so weiter. Es schien zunächst eine logische Fortsetzung der Situation vor dem Vereinigten Königreich (vgl. Die französische Zeit). Außerdem hatte Französisch im 19. Jahrhundert noch immer ein hohes Ansehen. Dazu trug auch bei, dass die französischsprachigen Provinzen von Wallonien zu dieser Zeit einen starken ökonomischen Aufschwung durch Stahlindustrie und Minenbau verzeichneten. Die wirtschaftliche Entwicklung in Flandern kam erst viel später in Gang; im 19. Jahrhundert dominierte dort noch die Landwirtschaft.
Niederländisch hatte im neuen Königreich automatisch eine untergeordnete Position inne. Die Mehrheit der niederländischsprachigen Bevölkerung hatte damit kein wirkliches Problem. Im ländlichen Raum Flanderns war man zu sehr damit beschäftigt, fürs tägliche Essen zu arbeiten, und das Leben spielte sich im lokalen Dialekt ab: man kam nicht in den Genuss eine Hochschule zu besuchen, konnte nicht abstimmen und hatte relativ wenig Kontakt mit der französischsprachigen Obrigkeit.
Die Flämische Bewegung
Es gab allerdings eine Gruppe Flamen, die doch auf die Dominanz der französischen Sprache reagierte. Es handelte sich um Personen, die ihr Wissen und ihre Motivation während der Zeit des Vereinigten Königreiches erlangt hatten. Diese Schriftsteller, Lehrer, Gelehrte und Priester aus der mittleren Schicht akzeptierten nicht, dass ihre niederländische Muttersprache keinen Platz mehr im öffentlichen Leben hatte. Vor allem missfiel ihnen, dass sie keine bessere Arbeitsstelle bekommen konnten, weil sie stets mit Muttersprachlern des Französischen aus den wallonischen Provinzen konkurrieren mussten. Die Geistlichen unter ihnen waren Verfechter der Volkssprache, um die traditionelle katholische Gesellschaft zu erhalten. Es entwickelte sich ein neues flämisches Nationalbewusstsein. Auf diese Weise entstand zwischen 1834 und 1840 die Vlaamse Beweging ("Flämische Bewegung").
Die Flämische Bewegung hat eigentlich eine literarische Basis. Literaten aus Gent, Antwerpen und Löwen wollten die reiche Vergangenheit Flanderns ins Bewusstsein des Volkes rufen. Sie meinten, dass durch die vielen Besetzungsjahre das Nationalgefühl im Süden angegriffen war, und dass Kunst und Literatur verwahrlost waren. Darum widmeten sie ihre Aufmerksamkeit in historischen Romanen, Theateraufführungen und Ähnlichem von neuem der glorreichen Vergangenheit der Grafschaft Flandern. Vor allem der Guldensporenslag wurde bejubelt.
Die Flämische Bewegung bekam schnell einen politischen Charakter. Ihre Anhänger eiferten nach einem Recht der Flamen, ihre eigene Sprache benutzen zu dürfen. Eine eigene Partei, um den Forderungen Kraft zu verleihen, gab es noch nicht. Die Gruppen flämischgesinnter Intellektueller setzten sich in den bestehenden Parteien für die Rechte der niederländischen Sprache ein, und in einem weiteren Sinne auch für die Anerkennung der Flamen als Volk. In dieser Atmosphäre wurde im Übrigen auch der Name Flandern erweitert, um alle niederländischsprachigen Provinzen anzudeuten. Die Flämische Bewegung hatte anfänglich nur ein paar gemäßigte Forderungen. Aber der jahrelange Sprachenstreit, in den sich Belgien verwickelte, führte zu erhitzten Diskussionen, in denen die Forderungen immer radikaler werden würden.
Die zentrale Figur der Flämischen Bewegung war Jan Frans Willems (1793-1846).
Die Anfänge
1840 reichte die Flämische Bewegung eine Petition über die Wiederherstellung des Niederländischen in Verwaltung, Rechtsgebung und Unterricht ein. Es war ein Ruf nach gesetzlicher Anerkennung der eigenen Sprache: jeder, der das möchte, muss das Recht haben, mit der Obrigkeit auf Niederländisch kommunizieren zu können. Die Petition, die lediglich 13 000 Unterschriften umfasste, brachte nichts und auf die Forderung wurde nicht eingegangen.
1856 stellte die Regierung die Grievencommissie ("Beschwerdekommission") ein. Dieser Kommission wurde aufgetragen, die Klagen der Flamen der Reihe nach durchzugehen und anschließend konkrete Vorschläge zu machen. Die Kommission regte an, Flandern offiziell für zweisprachig zu erklären, allerdings wies die Regierung diesen Vorschlag zurück.
Die ersten Erfolge
1860 geschah in Belgien ein Zwischenfall, der Veranlassung war, das erste Sprachgesetz zu verabschieden. In Wallonien wurde eine Witwe, Frau Dubois, nachts überfallen. Auf dem Sterbebett konnte sie noch äußern, dass die Täter 'Flämisch' gesprochen hatten. Daraufhin wurden Jan Coucke en Pieter Goethals, zwei flämische Arbeiter, die in der Umgebung arbeiteten, der Tat beschuldigt. Es kam zu einem Prozess, der jedoch komplett auf französisch stattfand; nicht einmal ihr Anwalt sprach Niederländisch. Die Männer wurden schuldig gesprochen und enthauptet, ohne dass sie etwas von ihrem eigenen Prozess verstanden hatten. Ein Jahr später bekannten zwei Bandenmitglieder, dass sie den Mord an Frau Dubois begangen hatten. Coucke en Goethals waren also unschuldig verurteilt... Dieser Fall erregte natürlich großes Aufsehen und eine Reaktion konnte nicht ausbleiben.
Im Jahr 1873 wurde in den flämischen Provinzen das Coremans-Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz betraf die Gerichte in den flämischen Provinzen (mit Ausnahme von Brüssel): die Rechtsprechung musste in allen Fällen, in denen der Angeklagte nicht Französisch sprach, auf Niederländisch erfolgen. Die Sprachgesetzgebung, die von da ab in Gang kam, beinhaltet konkret, dass der Gebrauch von Sprachen in spezifischen Situationen per Gesetz festgelegt wird. Für die Flamen bedeutete das in erster Linie das Recht, ihre Sprache in bestimmten Situationen verwenden zu dürfen; im weiteren Sinn auch eine schrittweise "Niederlandisierung" des öffentlichen Lebens in den flämischen Provinzen. Auf das Coremans-Gesetz folgte 1878 das De Laet-Gesetz im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Niederländischen in der zentralen Verwaltung, also der Sprache die Beamte bei Mitteilungen an die Bevölkerung benutzen müssen. Das De Vigne-Coremans-Gesetz beinhaltete eine teilweise "Niederlandisierung" des mittleren Unterrichtswesens und einen erweiterten Gebrauch des Niederländischen in der Administration, Rechtsprechung und Gesetzgebung in den flämischen Provinzen.
Französischsprachige Banknote aus dem Jahr 1851
Foto: Nationale Bank van Belgie (CC BY-ND 2.0)
Die flämischen Provinzen wurden also zweisprachig, während Brüssel und die wallonischen Provinzen einsprachig französisch blieben. Aber mit der Zeit wurden Münzen (1886), Banknoten (1888), Briefmarken (1891) und auch das Staatsblad (1895, "Belgisches Staatsblatt") zweisprachig. Das waren sichtbare Zeichen, dass das gesamte Land zunehmend als zweisprachig angesehen wurde. Als Bestätigung dafür kann auch die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes für Männer gesehen werden, da auf diese Weise die niederländischsprachige Mehrheit der Bevölkerung auch politisch vertreten wurde.
Ein zweisprachiges Land?
Zweisprachiges Stoppschild
Foto: Steven Spell (1.0)
Durch die Verabschiedung des Gelijkheidswet ("Gleichberechtigungsgesetz") wurde Belgien 1898 zweisprachig. Dieses Gesetz war gleichbedeutend mit einer gesetzlichen Akzeptanz des Niederländischen - neben Französisch - als Sprache der Staatsverwaltung, der Rechtsprechung und des staatlichen Schulwesens. Von nun an sollten alle Gesetze auf Französisch und Niederländisch mit der gleichen Rechtskraft erlassen werden. Die Flämische Bewegung hatte somit ihre erste Forderung durchgesetzt.
Die Anwendung des Gleichberechtigungsgesetzes und der übrigen Sprachgesetze ließ jedoch auf sich warten. In der Praxis blieben Brüssel und Wallonien einsprachig französisch. Aber auch in den flämischen Provinzen blieb Französisch praktisch noch sozial und ökonomisch dominant. Es war weiterhin die Prestigesprache, die man beherrschen musste, um eine gute Arbeitsstelle im öffentlichen Sektor zu bekommen. Viele Wallonen, die für die Behörden arbeiteten, sahen keine Notwendigkeit Niederländisch zu lernen. Auch der Unterricht in den flämischen Provinzen fand zum großen Teil noch auf französisch statt.
Die Zahl der Flämischgesinnten in Flandern nahm durch den Einfluss wirtschaftlicher und kulturelle Entwicklungen zu. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden die flämischen Provinzen nach und nach industrialisiert. In Flandern entstand eine Mittelschicht, die immer ehrgeiziger und mündiger wurde. Das Interesse an niederländischsprachigen Zeitungen und Literatur nahm in dieser Zeit auch zu. Es gab mehr und mehr Menschen, die Nutzen aus einer anhaltenden "Niederlandisierung" des öffentlichen Lebens, Schulwesens, usw. ziehen konnten.
Die Radikalisierung der Flämischen Bewegung
Tyne Cot Cemetery, Passendale
Foto: Koen Demarsin
für Erf-goed.be (CC BY-NC-SA 2.0)
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Die deutsche Armee fiel ins neutrale Belgien ein und besetzte das Land vier Jahre lang. Vor allem die Provinz West-Flandern (de Westhoek) hatte schwer unter dem Krieg zu leiden. Der Krieg und die deutsche Besetzung führten eine Trennung innerhalb der Flämischen Bewegung herbei. Die deutschen Besetzer versuchten im Namen der germanischen Stammesverwandtschaft ihre eigene Macht zu erweitern und boten der Flämischen Bewegung Hilfe bei der Verwirklichung ihrer Forderungen an (Flamenpolitik). Ein Teil der Flämischen Bewegung, die sogenannten "activisten", ging auf das Angebot ein und kollaborierte mit den Deutschen. Unter Einfluss der deutschen Besetzer wurde so die Universität in Gent "niederlandisiert". Andere Flämischgesinnte jedoch weigerten sich mit den Deutschen zusammenzuarbeiten ("passivisten"). Nach dem Krieg wurde der Flämischen Bewegung die Kollaboration sehr verübelt und die meisten Maßnahmen wurden wieder rückgängig gemacht.
Yserturm
Foto: Frank Van Hevel
(CC BY-NC-ND 2.0)
In Zusammenhang mit der Flämischen Bewegung ist weiterhin die Entwicklung der radikal flämischgesinnten Frontbeweging ("Frontbewegung") wichtig. Es handelte sich um eine Vereinigung Flämischgesinnter, die sich vor allem gegen eine französischsprachige Führung der Armee einsetzte, da es im schlimmsten Fall zu Kommunikationsproblemen auf dem Schlachtfeld kommen konnte. Nach dem Krieg entstand aus der Frontbeweging und den "activisten" die erste flämisch-nationalistische politische Partei, die Frontpartij, die für die Errichtung eines unabhängigen Flanderns eintrat. Der Sprachstreit war zu einem ethnischen Konflikt radikalisiert worden.
Auch der gemäßigte Teil der Flämischgesinnten verstärkte die Forderungen. Anstelle der Zweisprachigkeit wurde nun Einsprachigkeit verlangt: man plädierte für ein einsprachig niederländisches Flandern in einem demokratischen Belgien. Kurzum, auf dem Gebiet Flanderns sollte Niederländisch die einzige Sprache des öffentlichen Lebens sein. Durch die Einführung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts 1919 waren die Flamen gut in der belgischen Politik vertreten, was die Durchführung der Sprachgesetzgebung förderte. Übrigens erkannten auch die Französischsprachigen die Vorzüge eines einsprachigen Walloniens.
Sire, (...) Vous régnez sur deux peuples. Il y a en Belgique, des Wallons et des Flamands; il n'y a pas de Belges: "Sire, Sie regieren zwei Völker. In Belgien gibt es Wallonen und Flamen; es gibt keine Belgier."
Ein Jahrhundert nach der Errichtung des Königreichs Belgien wurde der Compromis des Belges (1929) geschlossen, eine Einigung zwischen flämischen und wallonischen Sozialisten über die Verhältnisse zwischen den Bevölkerungsgruppen in Belgien. Das bedeutete die Akzeptanz von kultureller Autonomie Flanderns und Walloniens. Damit war faktisch der Weg frei für die Anerkennung von zwei einsprachigen Gebieten.
Territorialität
In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts fand das Territorialitätsprinzip Anwendung: durch eine Reihe umfassender Sprachgesetze wurden zwei einsprachige Gebiete anerkannt. Die "Verfransung" des öffentlichen Lebens fand in den flämischen Provinzen ein Ende. 1930 wurde die Unterrichtssprache an der Universität von Gent definitiv niederländisch, und somit bekam Belgien seine erste niederländischsprachige Universität. Im Jahre 1932 folgte das Gesetz zum Sprachgebrauch in Verwaltungsangelegenheiten, worin festgelegt wurde, dass in den flämischen bzw. wallonischen Provinzen die Umgangssprache auch Verwaltungssprache war. Die Rechtssprache wurde 1935 in beiden Gebieten einsprachig gemacht und 1938 entstand ein Gesetz über den Sprachgebrauch in der Armee. Aber es sollte noch 30 Jahre dauern bevor die zwei Sprachgebiete gesetzlich verankert wurden und man eine Regelung für Brüssel fand.
König Leopold III
Foto: Unbekannt (1.0)
Inzwischen wurde der radikale Flügel der Flämischen Bewegung stetig stärker. Die anti-belgische Frontpartij transformierte sich 1933 in die faschistische VNV (Vlaams Nationaal Verbond). Während des Zweiten Weltkrieges kam es von neuem zu Kollaborationen. Nach dem Krieg drängte die sogenannte koningskwestie ("Königsfrage"), ein Konflikt um König Leopold III., die politischen Gegensätze innerhalb Belgiens stark in den Vordergrund. Die Spannungen zwischen Flamen und Wallonen spitzten sich zu. Der Akzent lag dabei nicht auf der Sprache, sondern auf dem gemeinschaftlichen Problem: das Zusammenleben der Sprachgemeinschaften in nur einem Land.
Im Laufe der 50er Jahre nahmen die Gegensätze zwischen dem flämischen und dem wallonischen Teil des Landes zu. Der wirtschaftliche Schwerpunkt verschob sich nach der Schließung der Minen im Süden nach Flandern. Die wachsende Arbeitslosigkeit in Wallonien verursachte Spannungen. Ein zunehmend flämisches Bewusstsein äußerte sich unter anderem in der Gründung einer neuen flämisch-nationalistischen Partei, der Volksunie.
Das Festlegen der Sprachgrenze
Die Flämischgesinnten richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Sprachgrenze. Die Grenze zwischen den einsprachigen Gebieten in Belgien war nämlich nicht festgesetzt, sondern veränderte sich abhängig von den Sprachzählungen, die regelmäßig durchgeführt wurden. Die Bürger jeder Gemeinde mussten angeben, welche Sprache sie meistens benutzten. Auf diesen Zahlen basierend wurden die Grenzen der Sprachgebiete angepasst. So passierte es, dass in immer mehr Gemeinden die Mehrheit der Einwohner französischsprachig schien und die Grenze sich in Richtung Norden verschob, was konkret bedeutete, dass ein Stück des niederländischsprachigen Gebiets verschwand. 1947 geschah das erneut, woraufhin die Flämischgesinnten ungläubig reagierten. Sie machten sich vor allem Sorgen um die Region Brüssel, welche zunehmend zu "verfransen" schien. Der Sprachstreit hatte sich zu einem Streit um Hoheitsgebiete entwickelt. Die Flämischgesinnten wollten, dass das niederländischsprachige Gebiet definitiv begrenzt und die flämische Gemeinschaft anerkannt wird.
Aktuelle Situation der Familiensprachen in Brüssel
Karte: Hooiwind (1.0)
Die Sprachgesetze von 1962-1963 legten endgültig die Sprachgebiete fest: die Grenzen des niederländischsprachigen und des französischsprachigen Gebiets sowie das deutschsprachige Gebiet und das zweisprachige Brüssel wurden per Gesetz bestimmt. Diese Gesetzesgebung festigte noch einmal das Territorialitätsprinzip: die Sprache gehört zu einem bestimmten Gebiet, und wer in diesem Gebiet wohnt, muss sich anpassen. In den getrennten Sprachgebieten wurde die Umgangssprache als einzige Sprache im öffentlichen Leben, also beispielsweise in der Verwaltung, der Rechtssprache, der Armee oder der Polizei, zugelassen.
Die Festlegung der Sprachgrenze ging natürlich nicht ohne Probleme vonstatten; sie ging mit einigen Korrekturen einher, die bis heute Rückwirkungen auf die belgische politische Situation haben (so fiel z.B. de Voerstreek an das niederländischsprachige Gebiet). Ebenfalls bis heute oft thematisiert sind die taalfaciliteiten. Das sind bestimmte Rechte den Gebrauch der eigenen Sprache betreffend, z.B. das Recht auf Unterricht oder Dokumente in der eigenen Sprache. Im Zeitraum zwischen 1962-1963 entstanden im Kontaktgebiet entlang der Sprachgrenze 25 "Faciliteitengemeinden", später kamen noch sechs solcher am Brüsseler Rand hinzu. Es handelt sich um Gemeinden, die zwar auf einsprachigem Gebiet liegen, in denen aber Minderheiten, die eine andere Sprache sprechen (mindestens 30 % der Einwohner), Erleichterungen (faciliteiten) in sprachlicher Hinsicht zugestanden bekommen. De Voerstreek beispielsweise liegt im niederländischen Sprachgebiet, die französischsprachige Minderheit aber bekommt dort jene "faciliteiten". Diese Regelung läuft allerdings nicht problemlos, vor allem am Brüsseler Rand: viele Flamen wollen verhindern, dass die Französischsprachigen zu mehr Rechten kommen, da sie die Angst hegen, Brüssel könnte "verfransen".
Aus Furcht vor "Verfransung" des niederländischsprachigen Teils der Provinz Brabant wollten die Flamen 1968 die katholische Universität Löwen auftrennen. Die Universität war aufgrund der Gesetzgebung von 1963 zweisprachig geblieben und sie zog immer noch mehr Französischsprachige an. Der Konflikt im Jahr 1968 führte zum Sturz der Regierung. In Wallonien wurde der französischsprachige Campus Louvain-la-Neuve eingerichtet, sodass der Campus in Löwen einsprachig niederländisch werden konnte. Auch die Freie Universität Brüssel spaltete sich in eine niederländischsprachige und eine französischsprachige Abteilung.
In Vlaanderen Nederlands ('In Flandern Niederländisch')
Die flämische Nationalhymne,
de Vlaamse Leeuw ("der flämische Löwe").
Industrie und Handel waren in Flandern bis zu diesem Zeitpunkt noch französisch geprägt. Im Betriebsleben wurde von den Arbeitgebern noch oft Französisch gesprochen, während die Arbeitnehmer Niederländisch sprachen. Auch im öffentlichen Leben gab es eine Veränderung: im Juli 1973 wurde festgelegt, dass die Verkehrssprache in flämischen Betrieben Niederländisch sein musste, d.h. jegliche Kommunikation zwischen Arbeitgeber und -nehmer musste von nun an auf Niederländisch geführt werden. Das war der letzte Schritt, um Französisch aus dem öffentlich Leben zu streichen.
Das Dekret vom 10. Dezember 1973 bestimmte, dass die offizielle Sprache in Flandern konsequent Niederländisch genannt wird (und nicht mehr Flämisch). Flandern wurde auf diese Weise offiziell Teil des niederländischen Sprachgebiets. Flandern und die Niederlande sollten zukünftig was die Normierung der Standardsprache betrifft intensiv zusammenarbeiten.
Föderalisierung
Es war inzwischen immerzu deutlicher geworden, dass die Gegensätze zwischen Flandern und Wallonien über die verschiedenen Sprachen hinausgingen. Es gab auch religiöse Unterschiede sowie auf politischem und ökonomischem Gebiet: Wallonien war frühzeitig industrialisiert worden, außerdem liberal und sozialistisch gefärbt. Flandern hingegen war katholisch, lange Zeit ein landwirtschaftliches Gebiet, verfügte aber über ein starkes ökonomisches Wachstum. Aufgrund dieser Gegensätze wurde der Prozess der Föderalisierung Belgiens in Gang gebracht, wobei den Teilstaaten eine größere Autonomie zuerkannt wurde. Das war vor allem in Flanderns Interesse.
Die belgischen Regionen und Gemeinschaften
Karte: Kneiphof (Original) und Finn Bjørklid (Farbe, Text)
(GFDL undefined CC-BY-SA-3.0)
1970 wurde eine Grundgesetzrevision durchgeführt, die den belgischen Staat tiefgreifend umgestaltete. Den Anfang machten die Errichtung von Gemeinschaften ("gemeenschappen") mit kultureller Autonomie und (vorläufigen) Regionen ("gewesten") mit eigenen Befugnissen. 1980 trat man in eine neue Phase der Staatsumgestaltung, in der vollwertige "gewesten" eingerichtet wurden. Durch den Zusammenschluss der flämischen Region mit der niederländischen Kulturgemeinschaft wurde ein alleiniger flämischer Teilstaat aufgebaut. Es wurden entscheidende Schritte in Richtung eines Föderalstaates getätigt. 1988 wurde Brüssel eine Region mit eigenem Statut und die Teilstaaten bekamen mehr Befugnisse zugesprochen. Die Reform des Staates wurde 1993 abgeschlossen. Durch verschiedene eingreifende Maßnahmen wurde Belgien endgültig ein Föderalstaat. Die Provinz Brabant wurde aufgeteilt in die Regionen Flämisch-Brabant und Wallonisch-Brabant. In der fünften Reform, dem Lambermontakkoord im Jahr 2001, wurde den Teilstaaten noch mehr Autonomie zugestanden. Seitdem wird von flämischer Seite wiederholt auf eine noch tiefergreifende Staatsreform gedrungen.
In Belgien gibt es drei Regionen ("gewesten"): die Flämische Region, die Wallonische Region und die Region Brüssel-Hauptstadt. Weiterhin existieren drei Gemeinschaften ("gemeenschappen"): die Französische, die Flämische und die Deutschsprachige Gemeinschaft. Die Befugnisse der Gemeinschaften und Regionen sind festgelegt, weiterhin haben sie jeweils eigene Parlamente und Regierungen (in Flandern sind Regions- und Gemeinschaftsregierung zusammengeschmolzen). Die Regionen sind mit den deutschen Bundesländern vergleichbar. Sie sind unter anderem zuständig für Ökonomie, Landwirtschaft, Arbeits- und Wohnungswesen. Die drei Gemeinschaften zeichnen sich für Sprache, Kultur und Bildung verantwortlich. Die föderale Regierung ist federführend bei Finanzen, Justiz, der Armee und im Bereich sozialer Sicherheit.
Ein vollständiges Nachschlagewerk zum Thema Niederländisch in Belgien ist das Verhaal van het Vlaams von Willemyns & Daniëls (2003). In van den Toorn (1997) ist ein detailliertes Kapitel über das Niederländische in Belgien von Guido Geerts zu finden. Die Entwicklung des Niederländischen in Belgien wird auch mit Textbeispielen in Janssens & Marynissen (2005) behandelt. Die Sprachgesetzgebung wird in Witte & Van Velthoven (1998) vor ihrem politischen Hintergrund erörtert. Den Niederländischunterricht zur Zeit Wilhelm I. behandelt spezifisch Janssens & Steyaert (2007).
Eine gute Einleitung über Belgien bietet Van Istendael (1993). Die belgische Geschichte wird anschaulich durch Reynebeau (2005) erzählt. Die politische Geschichte Belgiens wird in Witte et al. (2005) beschrieben.
Querverweise
Standardisierung des Niederländischen in BelgienNiederländisch in Belgien
Das Niederländische in Brüssel
Die Zukunft des Niederländischen