Struktur und Geschichte des Niederländischen Eine Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft

Die Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert

Das 16. Jahrhundert ist eine Übergangsperiode: Es ist der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, die mit politischen Veränderungen, Krieg und Krisensituationen einhergeht.

Die Siebzehn Provinzen

Durch die Heirat von Maria von Burgund mit dem Habsburger Maximilian von Österreich kamen die Niederlande im Jahr 1477 formell zum Haus Habsburg. Maximilian wurde 1486 zum Römischen Kaiser gekrönt. Durch seine Heiratspolitik konnte er zahlreiche Gebiete an das Haus Habsburg binden. Sein Enkel Karl V. (geboren 1500) folgte ihm auf den Thron, heiratete eine spanische Prinzessin und wurde römischer Kaiser und zugleich König von Spanien und Herr über die Niederlande. Unter seiner Herrschaft bildeten die Niederlande unter dem Namen Die Siebzehn Provinzen eine Einheit. Diese Einheit und Selbständigkeit des Gebietes wurden durch die sog. pragmatische Sanktion, die Karl V. 1549 erließ, unterstützt. In den Siebzehn Provinzen waren sowohl niederländisch- als auch französischsprachige Gebiete vereinigt. Die Hauptstadt war Brüssel.

Die Siebzehn Provinzen

  • Herzogtum Brabant
  • Herzogtum Limburg und Land von Overmaas
  • Herzogtum Luxemburg
  • Herzogtum Gelre und Grafschaft Zutphen
  • Grafschaft Flandern
  • Grafschaft Artesien
  • Grafschaft Henegouwen
  • Grafschaft Holland
  • Grafschaft Zeeland
  • Grafschaft Namen
  • Städte und "kasselrijen" Rijsel, Douai en Ochies
  • Herrschaft Doornik und das Doornikse
  • Herrschaftt Mechelen
  • Herrschaft Friesland
  • Herrschaft Utrecht
  • Herrschaft Overijssel, Drenthe, Lingen, Wedde en Westwoldingerland
  • Herrschaft Groningen

Die Blüteperiode

Die ökonomische Situation in den Niederlanden war am Anfang sehr günstig. Vor allem der Textilsektor wuchs stark. Ab dem
15. Jahrhundert war Antwerpen das ökonomische Zentrum der Region. In kultureller Hinsicht befanden sich die Niederlande im
16. Jahrhundert ebenfalls an der Spitze Europas. Auch die Buchdruckerkunst erlebte ihre große Blütezeit, z.B. durch Christoffel Plantijn in Antwerpen.


Druckerei von Plantin-Moretus
Foto: jeroen020 (CC BY 2.0)

Druckerei und Verlag Platijns sind bis zum heutigen Tag in gutem Zustand. Hier sind zwei der ältesten Druckpressen der Welt, eine Sammlung von typographischem Material und ein Schatz von Kupferstichen, Manuskripten, Dokumenten und Atlanten zu sehen. Auch die ältesten niederländischen Wörterbücher aus dem 16. Jahrhunderts befinden sich hier. Beeindruckend ist außerdem die benachbarte, vollständig eingerichtete Patrizierwohnung, deren Wände mit kostbarem vergoldetem Leder und Wandtapeten bekleidet sind. All das, heute ein einzigartiges Museum und Archiv, gehört zum Unesco-Weltkulturerbe.

Die Krise

Kurze englische Reportage
über die Reformation.

Mit dem Ende des 16. Jahrhundert begann die Krise. Dafür waren erstens ökonomische Probleme wie Missernten, niedrige Löhne und das englische Handelsembargo verantwortlich. Zweitens wurden neue religiöse Strömungen immer bedeutsamer. Religiöse Gruppierungen widersetzten sich bestimmten katholischen Bräuchen und wollten die Kirche reformieren (die Reformation): "Zurück zum 'reinen' christlichen Gottesdienst". Luther und Calvin waren die wichtigsten Verfechter dieser Lehre.

Karl V. und sein Nachfolger, sein Sohn Philip II. waren fanatische Katholiken und zwangen dem Reich ihren Gottesdienst mit Gewalt auf. Die Anhänger des Protestantismus (Ketzer) wurden durch die Spanier aufgestöbert und mit Gewalt verfolgt (die Inquisition). Die Abkehr vom Katholizismus bedeutete auch die Abkehr von der bestehenden Ordnung. Die Provinzen im Norden der Niederlande waren gegen die die absolutistische Regierung und der in Brabant zentralisierten Macht. Sie forderten Selbständigkeit. Problematisch war auch der große Abstand zwischen dem König (Philip II.) und seinem Land. In dieser gespannten Situation wandten sich einige Adlige an die Statthalterin Margaretha van Parma, um der Verfolgung der Ketzer ein Ende zu machen. Diese wurden während ihres Besuches bei der Statthalterin von deren Ratgeber Kardinal Granvelle als geux ("Bettler") bezeichnet; daher nannten sie sich selbst später "Geuzen". Die Situation eskalierte und 1566 begann der durch den Kalvinismus inspirierte sogenannte Bildersturm in den Kirchen. In den Kirchen in den Niederlanden wurden Bilder, Kunstwerke, Bücher und andere Kostbarkeiten zerstört.

König Philip II. sandte ein Heer, das aber erst fast ein Jahr später in den Niederlanden ankam, als die Situation sich bereits wieder beruhigt hatte. Dies wurde natürlich als Provokation aufgefasst. Mit dem spanischen Heer kam auch Herzog Alba, ein Vertreter der "harten Linie", der den sogenannten Blutrat einrichtete. Die Protestanten wurden stark unterdrückt, Tausende wurden zum Tode verurteilt. 1568 wurden so auch die Grafen Egmont und Hoorn in Brüssel enthauptet. In demselben Jahr begannen die Provinzen unter Führung Wilhelms von Oranien den Achtzigjährigen Krieg gegen die Spanier.

Nach der Trennung von den Niederlanden


Wilhelm von Oranien
Foto: FaceMePLS (CC BY 2.0)

Wilhelm von Oranien gelang es nicht, die Einheit der Niederlande aufrechtzuerhalten. Es gab einige Friedensbemühungen, die jedoch ohne Erfolg blieben (z.B. die Pazifikation von Gent, 1576). Am 6. Januar 1579 errichteten die wallonischen Provinzen Artesien, Henegouwen, Namen, Luxemburg und Limburg die "Union von Atrecht (Arras)", worin sie den Bruch mit dem Aufstand gegen den spanischen König erklärten. Keine drei Wochen später gelobten die Provinzen Brabant, Flandern, Holland, Seeland und Gelre in der "Union von Utrecht" keinen seperaten Frieden mit Philip II. zu schließen. Die "Staten-Generaal" (Generalstaaten; Teile des Staatenbundes) erarbeiteten 1581 im "Plakaat van Verlatinge" jene Punkte, in denen Philip gegen den Vertrag mit seinen Untertanen verstoßen hatte. Philip wurde von da an nicht mehr als ihr König anerkannt.

Der Fall von Antwerpen

Die Trennung von den Niederlanden hatte einschneidende Folgen für die weitere Entwicklung der niederländischen Sprache im Norden und im Süden.

Während des Achtzigjährigen Krieges eroberten die Spanier unter der Führung von Alexander Farnese 1585 die Stadt Antwerpen. Als Gegenmaßnahme sperrten die nördlichen Provinzen die Schelde ab. Dieses Ereignis läutete die Trennung der Niederlande ein. Als Folge dieser politischen Konflikte und um einen freien protestantischen Gottesdienst besuchen zu können, kam es zu einer Migration von Süden nach Norden. Viele qualifizierte Handwerker, Kaufleute, Intellektuelle und Künstler verließen ihren Wohnsitz im Süden und ließen sich in Holland oder Zeeland nieder. Dies war ein wichtiger Impuls für die spätere Republik der Sieben Vereinigten Provinzen, die 1588 in den nördlichen Provinzen errichtet wurde.

Der Frieden von Münster und die Gründung der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande

Die Vereinigten Niederlande bestanden nicht länger, die 17 Provinzen fielen in zwei Teile auseinander. Durch die Emigrationen und die politische Situation verlagerte sich das ökonomische Leben in die aufständischen Provinzen im Norden. (Für die Folgen der Trennung im Süden siehe Niederländisch in Belgien). Der Krieg ging weiter, lediglich unterbrochen durch einen zwölfjährigen Waffenstillstand (1609-21). Der Glaube teilte inzwischen den gesamten Kontinent in zwei Teile. In den Niederlanden brach ein neuer Konflikt auf religiösem Gebiet zwischen den Anhängern von Arminius (den Remonstranten) und jenen von Gomarus (den Kontraremonstranten) aus. Ab 1618 fiel der niederländische Krieg mit dem Dreißigjährigen Krieg in Europa zusammen. Ganz Europa war nun im Kriegszustand und die Konflikte wurden erst 1648 im Frieden von Münster gelöst. Darin wurde unter anderem die Republik der Sieben Vereinigten Niederlande durch Spanien als souverän anerkannt und die Schließung der Schelde bekräftigt. Die Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande stand von diesem Moment an definitiv fest. Das ehemalige Herzogtum Brabant zerfiel in einen nördlichen und einen südlichen Teil, Zeeuws-Flandern wurde vom Rest der ehemaligen Grafschaft abgeschnitten.

Republik der Sieben Vereinigten Niederlanden
Karte: Joostik (CC0 1.0 Universell)

Relevante historische Hintergründe für das Niederländisch ab dem 16. Jahrhundert geben u.a. Blom (1993 [2003]), Janssens & Marynissen (2005) und De Vries et al. (1993 [2003]).

Verweise

Von Mittelniederländisch zu Neuniederländisch
Diphtongierung und ´Hollandse expansie´ (Ausbreitung des Holländischen)