Struktur und Geschichte des Niederländischen Eine Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft

Die Konstituenten niederländischer Sätze

In diesem Kapitel geht es um die Bestandteile ('Konstituenten') niederländischer Sätze. Es werden verschiedene Tests vorgestellt mit Hilfe derer Konstituenten erkannt werden können. Das Hauptaugenmerk liegt auf den verschiedenen Typen von Konstituenten, ihrem internen Aufbau und auf den Beziehungen, in denen sie zueinander stehen. Ziel dieses Kapitels ist zu zeigen, wie die verschiedenen Konstituenten schließlich die größte Konstituente, den Satz, bilden.

Was sind Konstituenten?

Jeder Satz ist aus verschiedenen kleineren Einheiten aufgebaut. Die Klammern in den Beispielsätzen unter (1.1-4) zeigen die verschiedenen Möglichkeiten, auf welche man einen Satz in seine kleineren Einheiten oder Konstituenten zerlegen kann. Dennoch wird jeder Sprecher des Niederländischen intuitiv der Struktur in (1.1) den Vorzug geben:

(1)

  1. [De oude man][eet [een appel]]
  2. [De oude][man eet een] [appel]
  3. [De [oude man eet ]][een appel]
  4. De [oude][man [eet een]] [appel]

Ganz allgemein gesagt zeigt die Klammerstruktur in (1.1), dass der Satz De oude man eet een appel aus zwei Konstituenten besteht: die eine gibt an, worüber in dem Satz etwas gesagt wird und die andere, was darüber gesagt wird. In unserem Beispiel ist die erste Konstituente de oude man, über den von der zweiten Konstituente gesagt wird, dass er einen Apfel isst. Aus der Klammerstruktur ist ersichtlich, dass diese zweite Konstituente selbst wieder aus zwei Konstituenten besteht: eet und een appel. Das ist nicht zwangläufig so: die zweite Konstituente kann auch aus einem einzigen Wort bestehen:

(2) [De oude man][slaapt]

Natürlich läßt sich jede komplexe Konstituente wie de oude man in einem zweiten Schritt selbst wieder in kleinere Einheiten unterteilen, bis schließlich nur noch einzelne Wörter übrig bleiben.
Ziel der Konstituentenstrukturanalyse ist es, einen kompletten Satz auf sinnvolle Weise in zusammenhängende Bestandteile zu unterteilen. Damit soll gezeigt werden, dass Sätze nicht einfach aus einer willkürlichen Abfolge von Wörtern bestehen, sondern dass die Wörter Teile bestimmter Einheiten sind, die selbst wieder zu größeren Bestandteilen gehören. Dahinter steht der Gedanke von der sprachlichen Kreativität des Sprechers: Im Prinzip ist ein Sprecher in der Lage, jeden willkürlichen Satz zu produzieren und zu begreifen, auch wenn er diesen nie zuvor gehört hat. Ebenso kann er im Prinzip endlose Sätze produzieren, wie zum Beispiel nach folgendem Schema:

(3) Anneke zei dat Pieter had gedacht dat ze de volgende dag zouden weten dat Hans zou ....

Es gibt also keinen 'längsten Satz'. Dass in der Praxis allerdings niemals endlose Sätze produziert werden, hat eine Reihe anderer Gründe, wie z.B. physiologische Beschränkungen der Sprechfähigkeit sowie die begrenzte Gehirnkapazität von Sprecher und Zuhörer - und schließlich auch die Tatsache, dass niemand über das ewige Leben verfügt. Die Struktur der Sprache an sich jedoch läßt die Produktion von endlosen Sätzen zu.
Die menschliche Fähigkeit der Sprachproduktion und des Verstehens von Sprache kann also nicht durch die Annahme erklärt werden, daß es sich um Reproduktion und Wiedererkennung bereits bekannter Sätze handele. Vielmehr wird jeder Satz aufs Neue vom Sprachbenutzer erzeugt ("generiert") und interpretiert. Offensichtlich verfügt jeder Sprachbenutzer über Regeln, die diese syntaktischen Strukturen generieren, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist, ja, nicht einmal in der Lage ist, sich dise Regeln bewußt zu machen. Es handelt sich bei diesem Wissen also um unbewusstes Wissen. Um Sätze produzieren zu können, muß der Sprachbenutzer neben der Kenntnis der strukturerzeugenden Regeln auch über die Kenntnis von Wörtern verfügen. Da das Gehirn groß, aber nicht unendlich ist, können wir viele, aber nicht unendlich viele Wörter in unserem mentalen Lexikon speichern. Diese begrenzte Menge an Wörtern in Kombination mit einer begrenzten Anzahl Regeln gibt uns die Fähigkeit, im Prinzip unendlich viele und unendlich lange Sätze produzieren und verstehen zu können.
Eins der Ziele einer syntaktischen Analyse ist das Erkennen dieser Regeln. Die Analyse der Konstituenten ist der erste Schritt dorthin.

Wir haben gesehen, dass wir die Konstituentenstruktur in (1.1) intuitiv den Strukturen in (1.2-1.4) vorziehen. Das hat vor allem morphologische und semantische Gründe: Artikel, Adjektiv (Eigenschaftswort) und Substantiv (Nomen) in de oude man stimmen hinsichtlich Genus (Wortgeschlecht), nämlich "maskulin" (männlich) und Numerus (Anzahl), nämlich "Singular" (Einzahl), überein. Ein anderes Wort für diese Übereinstimmung ist Kongruenz. Auch in semantischer Hinsicht macht die Klammerstruktur in (1.1) Sinn: die erste Konstituente bezeichnet denjenigen, über den etwas gesagt wird, nämlich de oude man. Die zweite Konstituente gibt an, was über die erste gesagt wird, nämlich dass der alte Mann einen Apfel isst.

Erkennen von Konstituenten

Eine Möglichkeit, die Konstituenten eines Satzes zu erkennen, besteht darin, eine komplexe Konstituente durch ein einzelnes Wort zu ersetzen:

(4) [De oude man][eet [een appel]] → [Hij][eet [een appel]]

De oude man wird durch das Personalpronomen (persönliches Fürwort) hij ersetzt. Dieser Test heißt Substitutionstest oder Pronominalisierungstest: eine Wortfolge, die durch ein Pronomen ersetzt werden kann, ist eine Konstituente.
Dieser Test ist jedoch nicht ausreichend, da es viele Wortfolgen gibt, für die keine Möglichkeit der Pronominalisierung besteht. Eine zweiter Test, der sogenannte Verschiebetest, besteht darin, Konstituenten umzustellen:

(5) [Gisteren][ging][Karel][naar de bioscoop] → [Karel][ging][gisteren][naar de bioscoop] → [Naar de bioscoop][ging][Karel][gisteren

Worte oder Wortfolgen, die umgestellt werden können, bilden eine Konstituente. Auch dieser Test ist für sich allein nicht ausreichend, da nicht jede Konstituente in jeder Position erlaubt ist:

(6) *[Karel][gisteren][naar de bioscoop][ging]

("*" bedeutet, dass das nachfolgende Wort oder die Wortreihe ungrammatisch ist, also "falsch im Hinblick auf die Grammatik".)

Eine dritte Möglichkeit ist der Fragetest: eine Konstituente ist etwas, wonach wir fragen können.

(7)

  1. Wie komt er vanmiddag naar Berlijn? [Mijn moeder]
  2. Wat heb je daar gezien? [Het nieuwe book]
  3. Hoe vond je dat boek? [Heel goed]
  4. Wanneer gaan we naar het feest? [Vanavond]
  5. Waarom heb je dat boek niet gekocht? [Omdat het heel duur is]

Dieser Test zeigt, dass es noch andere Arten von Konstituenten gibt als die, die wir bisher kennen gelernt haben, zum Beispiel temporale Bestimmungen (attributive Bestimmungen der Zeit) wie in (7.4) oder sogar ein ganzer Nebensatz wie in (7.5).

Der letzte Test ist der Koordinationstest: Wörter und Wortfolgen, die koordiniert werden können, sind Konstituenten:

(8)

  1. [[De oude man] en [de jonge man]][eten [een appel]]
  2. [Lust] [je] [[een ijs] of [een biertje]]?
  3. [Ik] [hou van] [[wandelen] en [lezen]]

Eine andere Notation: Baumdiagramme

Die Konstituentenstruktur in (9.1) ist mit Hilfe von Klammern sichtbar gemacht worden. Wenn es sich jedoch um einen komplexen Satz handelt, ist es bei dieser Art der Notation sehr schwierig, die Konstituentengrenzen zu erkennen, siehe (9.2).

(9)

  1. [De oude man][eet [een appel]]
  2. [Hij [wist [dat [de kinderen] [met [de [[groene] en [blauwe] ballen]]] speelden]]]

Es ist daher manchmal einfacher, eine komplexe Struktur mit Hilfe eines sogenannten Baumdiagramms darzustellen, auch wenn Baumdiagramme mehr Platz beanspruchen:

Konstituentenarten

Für mehr Informationen über Konstituenten kann die Webseite der ANS zu Rate gezogen werden.

Wir haben bereits gesehen, dass Sätze aus mehreren Konstituenten bestehen und wir haben verschiedene Tests kennen gelernt, mit Hilfe derer Konstituenten erkannt werden können. Die verschiedenen Sorten bzw. syntaktischen Kategorien von Konstituenten hingegen haben wir noch nicht kennengelernt. Ein Grundprinzip lautet: wenn Konstituenten einander ersetzen können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird, gehören sie der gleichen syntaktischen Kategorie an:

(12) Er loopt {een kat / een oude mevrouw met twee koffers / een dikke man} op straat

Die gebräuchlichsten syntaktischen Kategorien sind:

CP (complementizer phrase) [manchmal auch S für sentence, Satz] Er loopt een kat op straat; Hans koopt een boek; Het regent
VP (verb phrase) slaapt; koopt een boek, is heel oud
DP (determiner phrase) de oude man; een kind; oude mannen; hij; Maria
AP (adjective phrase) oud; heel bijzondere; trots op de moeder
NP (noun phrase) oude man; kind; herdenking van de ramp
PP (prepositional phrase) met het mes; achter de deur
N (nomen) auto; kind
V (verbum) kopen; eten; slapen
A (adjectief of adverbium) oud; dik; erg
P (prepositie) onder; achter; op
Det (determiner) de; het; een; vijf
Comp (complementizer) dat; of

Wir können nun die Konstituentenstruktur das bereits bekannten Satzes De oude man eet een appel genauer spezifizieren:

(13) [[DeDET [[oudeA]AP [manN]NP]NP]DP [eetV [[eenDET][appelN]NP]DP]VP]CP

Phrasenstrukturregeln

Die verschiedenen Kategorien des Niederländischen weisen im Aufbau große Ähnlichkeit miteinander auf. Den Grund dafür erkennt man bei genauerer Betrachtung: es handelt sich nämlich um einzelne, voneinander unabhängige, sondern vielmehr um voneinander abhängige, aufeinander aufbauende Einheiten. Bestimmte syntaktischen Regeln, die Phrasenstrukturregeln, bestimmen den internen Aufbau und erzeugen (generieren) so die Konstituentenstruktur.
Auf der linken Seite des Pfeils steht eine bestimmte Konstituente (eine sogenannte XP, wobei das "X" für C, V, N, A oder P steht), auf der rechten Seite steht die Struktur, die dieser XP zugesprochen wird. Wie die Beispiele in der Liste zeigen, gibt es oft mehr als eine mögliche Struktur für eine bestimmte XP. Das können wir berücksichtigen, indem wir die fakultativen Konstituenten in runde Klammern setzen.

(14)

  1. DP → (Det) NP
  2. NP → (AP) N (PP)

Die Phrasenstrukturregeln in der Pfeil-Notation geben nicht nur an, was für Konstituenten eine bestimmte XP enthält, sondern regeln außerdem auch die interne Abfolge der Konstituenten. Gemäß der Phrasenstrukturregel in (14.1) in Kombination mit der Regel in (14.2) müssen in einer DP der Determiner und das Adjektiv dem Nomen immer vorangehen. Dass das stimmt, können wir anhand der folgenden Beispiele sehen:

(15)

  1. de oude man
  2. *oude de man
  3. *man de oude
  4. *man oude
  5. *man de

Die Abfolge "Det - AP - NP" ist an sich nicht selbstverständlich. Im Deutschen und Englischen findet man zwar dieselbe Abfolgerestriktion, aber es gibt auch andere Sprachen wie das Französische oder das Spanische, in denen andere Abfolgen möglich oder sogar obligatorisch sind:

  1. *der Mann alte
  2. *the man old
  3. l'homme extraordinaire (Frans)
    [de man oude]
  4. gamle mann-en (Noors)
    [oud man-de]
  5. los muchachos ricos (Spaans)
    [de mannen rijken]
  6. quegli occhi cilestrini (Italiaans)
    [deze ogen hemesblauw]

Nachstehend die wichtigsten Phrasenstrukturregeln des Niederländischen:

  • CP → (Comp) DP VP
  • DP → (Det) NP
  • NP → (AP) N (PP)
  • VP → (DP) (PP) V
  • VP → (CP) (PP) V
  • PP → P DP
  • AP → (AP) A (PP)

Kopf und Modifikator

Wie wir gerade gesehen haben, sind nicht alle Konstituenten einer XP obligatorisch. Die optionalen Ergänzungen stehen in runden Klammern. Darüberhinaus können wir bei den obligatorischen Bestandteilen zwischen dem Kopf (oder head) und den Modifikatoren einer XP unterscheiden. Eine genaue Definition des Begriffes "Kopf" ist schwierig und würde an dieser Stelle zu weit führen. Der Kopf ist gewissermaßen der "Kern" der XP; eines seiner grundlegenden Merkmale ist, daß sich seine Eigenschaften auf die gesamte Phrase übertragen. Für den Moment halten wir hier exemplarisch fest, daß V den Kopf einer VP bildet, N den Kopf einer NP, P den Kopf einer PP usw.

In den folgenden Beispielen ist der Kopf (der komplexesten XP) immer fett gedruckt:

Eine komplexe Konstituente kann auch auf die folgende Art verkürzt notiert werden:

Aus der Phrasenstrukturregel für die DP ergibt sich, dass Det im Niederländischen (wie auch im Deutschen) nicht notwendigerweise anwesend sein muß. Auch in diesen Fällen stellt Det jedoch den Kopf der DP dar. Det wird dann nicht realisiert, ist funktional jedoch vorhanden:

(23)

  1. de oude man
  2. de oude mannen
  3. een oude man
  4. ∅ oude mannen

Aufgabe

  1. Nenne Beispiele für eine AP, NP, DP und PP in der Baumnotation
  2. Benenne die folgenden Konstituenten:
    1. achter de deur
    2. man met een mes
    3. ging boodschappen doen
    4. veel te hoog
    5. de boom
    6. dikke boeken
    7. dik boek
    8. een dik boek
  1. 1. PP 2. NP 3. VP 4. AP 5. DP 6. DP oder NP 7. NP 8. DP

Rekursive Regeln

Wir haben anfangs über das kreative Vermögen des Sprachbenutzers gesprochen, nämlich über die Fähigkeit, Sätze zu bilden und zu begreifen, die noch nie zuvor gebildet oder gehört wurden und die Fähigkeit, im Prinzip unendlich lange Sätze zu bilden. Beispiele für solche unendlich langen Sätze sind:

(25)

  1. Hans dacht dat Marie wist dat Pieter had gepland dat hij ...
  2. Dat is het boek over de huizen met de ramen met de knoppen ...

Mit unserem Wissen über die Phrasenstrukturregeln können wir diese Fähigkeit nun etwas genauer erklären. Die Konstituentenstrukturen dieser Sätze sind dann:

Wir sehen, dass bestimmte Konstituenten immer wieder vorkommen. Das hängt damit zusammen, dass es Phrasenstrukturregeln gibt, bei denen die Konstituente, die links vom Pfeil steht, auf der rechten Seite (neben anderen Konstituenten) noch einmal vorkommt. Diese Regeln werden rekursive Regeln genannt, also Regeln die sich auf sich selbst beziehen. Um einen sehr langen Satz bilden zu können, braucht der Sprachbenutzer also keine ebenso lange und komplexe Phrasenstrukturregel. Vielmehr kann er diese komplexe Struktur mit Hilfe einiger weniger rekursiver Regeln generieren.
Für die Beispiele in (25) benötigen wir zwei bzw. drei Phrasenstrukturregeln, die zusammen ein "rekursives Set" bilden:

(28)
CP → (Comp) DP VP
VP → (CP) (PP) V

(29)
PP → P DP
DP → (Det) NP
NP → (AP) N (PP)

Die Konstituentenstruktur von Sätzen: einige Beispiele

Die folgenden Beispiele zeigen, wie man mit Hilfe der Phrasenstrukturregeln die Konstituentenstruktur ganzer Sätzen generieren kann.

Aufgabe

Schreibe folgende Sätze als Baumdiagramm:

  1. Pieter weet dat Jan het boek heeft
  2. Filippa geeft het boek aan Marie
  3. Ik denk dat Ann heel erg klein is

Wortarten: Funktionsworte und Inhaltsworte

In den Beispielen (30) und (32) finden wir das Wort dat. Dat gehört zur syntaktischen Kategorie COMP (complementizer) und bildet den Kopf der CP. Im Gegensatz zu Vertretern der syntaktischen Kategorien A, N und V haben Worte wie dat jedoch weniger konkrete lexikalische, sondern stattdessen grammatikalische Bedeutung: sie haben eine strukturierende Funktion im Satz und werden daher auch Funktionsworte genannt.
Andere Arten von Funktionsworten sind:

Artikelde, het, een
Präpositionen (Verhältnisworte)op, onder, achter, in
Konjunktionen (Bindeworte)en, maar, omdat
Pronomen (Fürworte)ik, wij, mij, zich, elkaar

In gewisser Hinsicht können wir auch die sogenannten Hilfsverben wie hebben, zijn und worden zu den Funktionsworten rechnen. In (33.1) sprechen wir dem Verb hebben nicht seine lexikalische Bedeutung (die jedoch existiert, siehe (33.2), sondern seine Funktion ist hier, die grammatische Kategorie "vollendete Zeit" anzugeben.

(33)

  1. Marie heeft een broodje gegeten
  2. Marie heeft een broodje

Ein fundamentaler Unterschied zwischen Funktionsworten und Inhaltsworten besteht darin, dass zu den Funktionsworten (im Prinzip) keine neuen Worte mehr hinzukommen, sie bilden eine geschlossene Klasse. Die Gruppe der Inhaltsworte wird dagegen eine offene Klasse genannt, weil die Anzahl von Worten unbegrenzt ist: zum Beispiel Lehnwörter, die aus anderen Sprachen ins Niederländische übernommen wurden (wie bureau, niveau, weekend, loser, junk). Das kommt oft im Zusammenhang mit Veränderungen in der Gesellschaft vor. Im Zusammenhang mit technischen Erfindungen wurden zum Beispiel Worte wie computer, website und attachement eingeführt.

Subkategorisierung

Inhaltsworte haben – im Gegensatz zu Funktionsworten - keine grammatikalische, sondern eine lexikalische Bedeutung. Im mentalen Lexikon sind für jedes Wort die betreffenden phonologischen, semantischen und syntaktischen Merkmale gespeichert. Auf diese Weise "weiß" der Sprecher zum Beispiel, dass nat der syntaktischen Kategorie A angehört und muis der Kategorie N. Die Spezifizierung der syntaktischen Kategorie im Lexikon ist wichtig, damit stets Wörter aus der richtigen syntaktischen Kategorie an den richtigen Platz innerhalb der Konstituentenstruktur gelangen: wenn die Struktur nach einem Wort aus der syntaktischen Kategorie A verlangt, darf auch nur ein Adjektiv an diesen Platz kommen. Das ist besonders im Zusammenhang mit den strukturellen Subkategorisierungsregeln wichtig: Verben unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der Anzahl und Art ihrer Ergänzungen.

(34)

  1. Janneke ziet een boek
  2. *Janneke ziet een boek een broek
  3. *Janneke ziet

(35)

  1. Janneke slaapt
  2. *Janneke slaapt een boek

(36)

  1. Janneke geeft een boek aan Marie
  2. *Janneke leest een boek aan Marie

Transitive Verben wie zien verlangen genau eine NP als Ergänzung, siehe (34); intransitive Verben wie slapen erlauben keine Ergänzungen (siehe (35)) und ditransitive Verben wie geven verlangen zwei. Daneben gibt es Verben, die keine NP, sondern eine PP subkategorisieren, wie rekenen op iets. Manchmal ist eine Ergänzung nicht obligatorisch, sondern optional, wie bei laten zien:

(37) Janneke laat de foto's (aan haar moeder) zien

Die lexikalischen Informationen über die Subkategorisierungsrestriktionen werden auf folgende Weise notiert; optionale Ergänzungen stehen dabei in runden Klammern:

(38) zien: __ DP; laten zien: __ DP (PP)

Die Ergänzungen, über die im Lexikon etwas vermerkt ist, heißen (obligate oder optionale) Komplemente eines Verbs. Adjunkte sind dahingegen Ergänzungen, die zusätzliche Informationen über die Handlung liefern, zum Beispiel darüber, wo eine Handlung stattfindet, oder auf welche Art etwas ausgeführt wird. Da Adjunkte im Prinzip bei jedem Verb stehen können, ist über sie in der Beschreibung der einzelnen Verben im mentalen Lexikon nichts vermerkt, im Gegensatz zu den Komplementen. Es besteht also auch keine Begrenzung der Anzahl möglicher Adjunkte:

(39) Janneke heeft gisteren achter de deur heel lang met Marie gekrenkt op haar echtgenoot gewacht.

Strukturelle Doppeldeutigkeiten

Manchmal sind Sätze mit unterschiedlichen Konstituentenstrukturen äußerlich identisch, sie haben also identische Oberflächenstrukturen, aber verschiedene Tiefenstrukturen. Ein Beispiel für einen solchen doppeldeutigen oder ambigen Satz findet man in (40):

(40) (...) omdat de man de vrouw met de wandelstok slaat

Für diesen Satz gibt es zwei mögliche Interpretationen: entweder der Mann schlägt die Frau mit Hilfe der Krücke, oder der Mann schlägt die Frau, die eine Krücke hat. Diesen zwei Interpretationen liegen folgende Konstituentenstrukturen zu Grunde:

Diese Art Doppeldeutigkeit heißt strukturelle Doppeldeutigkeit, weil sich die Ambiguität aus der Tiefenstruktur der Sätze ergibt, sie hat nichts mit der Bedeutung der einzelnen Wörter zu tun. Im Gegensatz dazu stehen Sätze, die aufgrund der semantischen Ambiguität eines ihrer Worte doppeldeutig sind, wie im folgenden Satz:

(43) Het geld ligt op de bank

Mit bank ist hier entweder ein Möbelstück oder das Finanzinstitut gemeint, und je nach Wahl einer dieser zwei Bedeutungen wird dann der Rest des Satzes interpretiert, vor allem, welche Bedeutung liggen in diesem Zusammenhang hat.

Aufgabe

Gib die möglichen zugrundeliegenden Tiefenstrukturen für den folgenden doppeldeutigen Satz an: Pieter wil de blauwe en de groene of de gele

Literatur

Für Konstituenten und Konstituentenstruktur siehe das Kapitel über Syntax in Neijt, Rodman, Fromkin 1994, mit generativer Grundlage, zwar nicht ganz auf dem neusten Stand, jedoch didaktisch gut aufbereitet und mit Aufgaben versehen; Appel et al. 2002 und Kerstens/Ruys 1994, ebenfalls mit Aufgaben, und das Kapitel "Syntaxis" in Kerstens et al. 1997. Siehe dort und in Neijt, Rodman, Fromkin 1994 auch zu den Grundannahmen Sprache und sprachliches Wissen.