Pidgins und Kreolsprachen
Entstehungskontext
Pidgins entstehen in einer Situation, in der zwei oder mehr Sprachgruppen, die ihre jeweiligen Sprachen nicht verstehen und keine andere Sprache gemeinsam haben, miteinander kommunizieren müssen oder wollen. Anlass für die Entstehung von Pidgins sind häufig Handelsinteressen. Pidgins sind dafür bekannt, dass sie über einen begrenzten Wortschatz und eine einfache Grammatik verfügen. Ein Pidgin hat keine Muttersprachler. Wenn kein Bedarf mehr an einer Kontaktsprache zwischen zwei Gruppen besteht (zum Beispiel, wenn Handelskontakte abgebrochen werden), verschwindet ein Pidgin schnell wieder.
Pidgins können jedoch auch an Bedeutung gewinnen. Pidgins, die in einer wachsenden Zahl von Situationen verwendet und in der Folge auch als erste Sprache erlernt werden, werden Kreolsprachen genannt.
Mehr Info zum Projekt
The Atlas of Pidgin and Creole
Language Structures (APiCS) mit
u.a. einer Google Map mit dem
Verbreitungsgebiet aller darin erforschter Sprachen
Viele (aber längst nicht alle) Kreolsprachen sind im Rahmen der Kolonisierung von Übersee-Gebieten durch die großen europäischen Kolonialmächte entstanden. Die prestigeträchtige Sprache der Kolonisten fungierte in den meisten Fällen als sogenannte 'lexifier language' und lieferte einen großen Teil des Wortschatzes der Kreolsprache. Daher wird oft von einer 'englischen Kreolsprache' oder einer 'portugiesischen Kreolsprache' gesprochen.
Struktur
Die Grammatik einer Kreolsprache wird für gewöhnlich als 'einfach' charakterisiert. Das kann einerseits auch durch die Entstehungsgeschichte von Kreolsprachen erklärt werden: sie wurden anfangs für begrenzte kommunikative Zwecke verwendet und konnten sich daher auf die fundamentalsten grammatikalischen Funktionen beschränken. Andererseits darf der Einfluss der 'einheimischen' Sprachen (zum Beispiel westafrikanischen Sprachen oder Indianersprachen) nicht unterschätzt werden: sie bildeten im allgemeinen die phonologische und grammatikalische Basis für die Kreolsprachen und sie unterschieden sich in typologischer Hinsicht in vielen Fällen stark von den indoeuropäischen 'lexifier languages'.
Beide Faktoren zusammen machen es plausibel, dass das Papiamentu, eine Kreolsprache die in der Karibik gesprochen wird, im Gegensatz zu einer seiner 'lexifier languages', dem Portugiesischen, Verben nicht konjugiert, dass es jedoch anders als das Portugiesische die Möglichkeit kennt, mit Hilfe hoher und tiefer Töne Bedeutungsunterschiede auszudrücken (biáhà = Reise, biàhá = reisen).
Status
Nachrichten auf
Tok Pisin via Radio Australia
Kreolsprachen haben im allgemeinen einen eher niedrigen Status, vor allem im Vergleich zu den prestigeträchtigen Standardsprachen, aus denen sie einen großen Teil ihres Wortschatzes entlehnt haben. Es gibt jedoch auch Regionen, in denen Kreolsprachen eine wichtige Funktion als Lingua Franca erfüllen (zum Beispiel das Tok Pisin in Papua-Neuguinea) oder als nationales Identitätsmerkmal dienen (zum Beispiel das Jamaican Creole auf Jamaika).
Flagge von Surinam
www.steveconover.info (CC BY-SA 2.0)
Mehr Informationen zu den
Kreolsprachen Sranan Tongo und Saramakkanisch
im Kapitel über Surinam
Bekannte Kreolsprachen mit ziemlich hohen Sprecherzahlen sind Haitian Creole mit circa 5 Millionen Sprechern, Jamaican Creole mit 2,5 Millionen Sprechern und Tok Pisin mit 2 Millionen. Kreolsprachen mit Niederländisch als 'lexifier language' waren Berbice Dutch (in Guyana) und Negerhollands (auf den Jungferninseln), die inzwischen jedoch so gut wie ausgestorben sind. Die Kreolsprachen Sranan Tongo (eine englische Kreolsprache, gesprochen in Surinam), Saramakkanisch (eine portugiesisch-englische Kreolsprache, gesprochen in Surinam) und Papiamentu (iberische Kreolsprache, gesprochen in der Karibik) zeigen Spuren von niederländischen Einflüssen. Das 'Hottentots-Hollands', das bei der Entstehung des heutigen Afrikaans eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat, war ebenfalls eine niederländische Kreolsprache.
Woher kommt die Bezeichnung 'Pidgin'?
Über den Ursprung des Wortes 'Pidgin' gehen die Meinungen auseinander. Mögliche Quellen sind (vgl. Crystal, 1995: 334, 336):
- das englische Wort business in einer fehlerhaften chinesischen Aussprache
- das portugiesische Wort ocupação ('Handel')
- das hebräische Wort pidjom ('tauschen')
- das Wort pidians ('Menschen') in Yayo
- das portugiesische Wort pequeno ('klein')
- das englische Wort pigeon ('Taube') - sie überbringt Nachrichten
Der Begriff 'Kreolisch' ist von dem portugiesischen Wort crioulo abgeleitet, mit dem ursprünglich Europäer bezeichnet wurden, die in einer Kolonie geboren und aufgewachsen waren. Später wurde das Wort für alle Bewohner einer Kolonie verwendet und anschließend auch für ihre Sprache.
Für eine ausführliche Darstellung von Pidginsprachen und Kreolsprachen siehe Romaine (1988) oder Singh (2000) oder Arends/Muysken & Smith (1995) (besonders für niederländische Kreolsprachen) oder für einen kurzen Überblick Nachschlagewerke wie Crystal (1995) und Trudgill (2003).