Struktur und Geschichte des Niederländischen Eine Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft

Die wichtigsten Merkmale des Gotischen

Rechtschreibung und Aussprache

Das Graphem <þ>, thorn genannt, geht auf das dritte Zeichen des germanischen Runenalphabets, das 'futhark' zurück.

Germanisches Runenalphabet
Abbildung: ClaesWallin
(1.0)

Manche Buchstaben werden im Gotischen anders ausgesprochen als im Niederländischen (z.B. das <u> wie das niederländische <oe> in "boek", kurz oder lang).
Des Weiteren gibt es auch Laute, die im Niederländischen nicht mehr zu finden sind, z.B. wird <d> stimmhaft ausgesprochen wie <th> im Englischen "thin" (z.B.: þata = 'das', 'dieses', 'jenes'). Die Unterschiede in der Aussprache werden hier demonstriert. Das gotische <q> wird wie eine Art "", ein k mit gleichzeitiger Lippenrundung ausgesprochen (z.B.: qimai = 'komme').

Ebenso wie alle germanischen Sprachen hat auch das Gotische als Folge der Akzentverschiebung einen Beginnakzent (vgl. van Bree (1996)).


Links steht der gotischen Text, daneben die wörtliche Übersetzung (vgl. van Bree (1996)).

Atta unsar þu in himinam,
weihnai namo þein.
qimai þiudinassus þeins.
wairþai wilja þeins,
swe in himina jah ana airþai.
hlaif unsarana þana sinteinan
gif uns himma daga.
jah aflet uns þatei skulans sijaima,
swaswe jah weis afletam
þaim skulam unsaraim.
jah ni briggais uns
in fraistubnjai,
ak lausei uns af þamma ubilin.

Vater unser Ihr in (den) Himmeln,
geheiligt werde Name Euer.
komme Königreich Euer.
werde Wille Euer,
wie in (dem) Himmel auch auf (der) Erde.
Brot unser das tägliche
gib uns diesen Tag.
und vergib uns daß Schuldner wir sind,
sowie auch wir vergeben
den Schuldnern unseren.
und nicht möget Ihr bringen uns
in Versuchung,
sondern erlöse und von dem Bösen.

Die Substantive

Es gibt im Gotischen fünf Fälle (Kasus):

  • Nominativ: für Substantive, die im Satz als Subjekt fungieren;
  • Genitiv: drückt Besitzverhältnisse aus;
  • Dativ: für Substantive, die die Funktion eines indirekten Objekts erfüllen;
  • Akkusativ: für Substantive mit der Funktion eines direkten Objektes;
  • Vokativ: steht für die angesprochene Person (meist gleich mit dem Nominativ)

Für mehr Informationen über den Gebrauch der Fälle, sei auf das Kapitel über die Fälle im Mittelniederländischen verwiesen.

Wikipedjai
Hier kann die gotische Version von Wikipedia angeschaut werden: Haubidaseido (homepage)

Die Kasusendungen hängen außerdem davon ab:

  • zu welchem Stamm das Substantiv gehört: Es gibt u.a. a-, ja-, o-, i-, u- und n- Stämme. Diese Bezeichnungen beziehen sich auf das rekonstruierte Germanisch (z.B. gotisch fugls 'vogel' ist ein a-stam wegen des protogermanischen Substantivs: *fuglaz);
  • welches Geschlecht (Genus) ein Substantv hat: das Gotische kennt männliche, weibliche und sächliche Substantive;
  • ob das Substantiv im Singular oder Plural steht.

Das Adjektiv hängt, was Genus, Numerus und Kasus betrifft, vom Substantiv ab. Des Weiteren unterscheiden sich die Endungen in:

  • dem Stamm zu dem ein Adjektiv gehört (wie bei den Substantiven);
  • der Flexion (Beugung): schwache Flexion (für den Vokativ oder nach einem bestimmten Artikel) oder starke Flexion (in allen anderen Fällen).

Pronomen

Der bestimmte Artikel (definiter Artikel) ist eine wichtige neue Entwicklung des Germanischen. Er ist aus dem Demonstrativpronomen entstanden und hat im Gotischen noch die gleiche Form (sa = 'der' oder 'der' (definiter Artikel oder Demonstrativpronomen) männlich, þata = 'das' of 'das' (betont, demonstrativ), so = 'die' oder 'die' (definiter Artikel oder Demonstrativpronomen) weiblich). Nur aus dem Kontext heraus lässt sich schließen, ob es als bestimmter Artikel verwendet wurde.
Der unbestimmte Artikel existiert noch nicht.

Die besitzanzeigenden Fürwörter (Possessivpronomen) werden nach den Regeln der starken Flexion von Adjektiven flektiert.

In diesem Film wird ein gotisches Text-
fragment vorgelesen und erklärt.

Personalpronomen: Das Gotische kannte eine 1., 2. und 3. Person und drei Zahlunterscheidungen. Neben Singular und Plural gibt es noch einen Dualis, eine Form für die Angabe von zwei Personen (wit = 'wir beide').

Das vertrauliche "du" und das höfliche "Sie" wurden durch eine einzige Form in der 2. Person ausgedrükt. (vgl. Personalpronomen im Mittelniederländischen)

Die Verben

An der Form eines Verbs kann man Folgendes ablesen:

  • die Person (1.,2.,3.) und den Numerus (Singular, Dualis, Plural):
    Ein Personalpronomen wurde nur zum Ausruck von Betonung oder Gegensatz verwendet.

  • den Modus:
    Das Gotische kannte den Indikativ, den Imperativ und den Optativ.

  • das Aktiv und das Passiv:
    Es gibt aktive und passive Verbformen, außer für das passive Präteritum, das mithilfe eines anderen Verbes (wisan = 'sein' oder wairþan = 'werden') und eines Partizips (daupiþs was = 'er wurde getauft') gebildet wird. Hier kann folglich der Beginn der Entwicklung von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache, die für alle westgermanischen Sprachen typisierend ist, gesehen werden.

  • die Zeit:
    Hier gibt es nur zwei Formen, das Präsens, um gegenwärtige und zukünftige und das Präteritum um vergangene Ereignisse auszudrücken. (Umschreibende Formen wie getan haben bestehen noch nicht.)

Das Präteritum kann auf unterschiedliche Weise gebildet werden:

Starke und schwache Verben sind kennzeichnend für alle germanischen Sprachen.
  • nur durch Vokalwechsel (starke Verben); diese Form geht auf das Indoeuropäische zurück. Im Gotischen gab es sechs Klassen starker Verben (z.B. 'greifen': greipan - graip - gripum);
  • durch Hinzufügen eines Dentalsuffixes (schwache Verben) mit den Lauten /d/ (= Englisch then) oder /þ/ (= Englisch thin). Schwache Verben sind Neuerungen der germanischen Sprachen;
  • durch Reduplikation, das Wiederholen einer Silbe (z.B. schlafen: slepan - saislep - saislepum).

Einige wichtige Entwicklungen, von denen im Gotischen bereits Anfänge sichtbar sind und die wichtig für die Bildung der westgermanischen Sprachen sein werden, sind erstens die Abschwächung der Stammunterschiede bei Substantiven als Folge des betonten Beginnakzents und zweitens die Entwicklung hin zu einem mehr und mehr analytischen Sprachsystem (Gebrauch von Umschreibungen, z.B. für das passive Präteritum) (vgl. Flexionsverlust im Mittelniederländischen).


Für Informationen über das Gotische, siehe u.a. van Bree (1977), van Bree (1996) und van der Wal (1992 [2008]). Über die historische Bedeutung des Codex Argenteus schreibt van Bree (1995).

Verweise

Das Altniederländische