Struktur und Geschichte des Niederländischen Eine Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft

Niederländisch und Niederländer in der Welt: Brasilien

Übersetzung aus dem Niederländischen: Linda John

Geschichte

Die nordostbrasilianische Stadt Recife hieß im siebzehnten Jahrhundert einige Jahrzehnte lang Mauritsstad. Das Gebiet war von 1630 bis 1654 ein Teil von Niederländisch-Brasilien.

Eroberung von Bahia im Jahre 1624:
Radiodokumentation anhören
Spoor terug: WIC, Teil 3:
Het Groot Desseyn (
38 minuten) über Bahia

Die Eroberung des Gebietes war Teil eines großen Plans, den die West-Indische Kompanie (WIC) 1623 aufgenommen hatte, der sogenannte 'Groot Desseyn'. Man wollte gegen die Konkurrenz der Spanier und Portugiesen im Atlantik vorgehen. Dies wollte man einerseits durch die Eroberung Portugiesisch-Brasiliens erreichen und sich andererseits auch portugiesische Niederlassungen entlang der Küste Westafrikas aneignen. Auf diese Weise wollte sich die WIC mehr Einfluss auf den Sklaven- und Zuckerhandel verschaffen. Schon 1624 eroberte eine Flotte der WIC die ehemalige Hauptstadt von Portugiesisch-Brasilien, Bahia. Ein paar Monate später eroberten die Portugiesen Bahia allerdings wieder zurück.

Niederländisch-Brasilien
Karte: H. Hettema jr. (1.0)

Hör dir die Radiodokumentation 'Spoor terug: WIC, Teil 8 an
Der Höhepunkt der Macht (über Recife)
(34 Minuten).

Die Eroberung des weiter im Norden gelegenen Olinda im Jahr 1630 durch die Truppen des WIC war ein großer Erfolg. Dieser Erfolg legte den Grundstein für eine längere Präsenz der Niederländer in Brasilien. Als Hauptstadt wählten die Niederländer aber nicht Olinda, sondern eine nähergelegene Niederlassung – das heutige Recife.

Von 1637 bis 1645 wurde Recife von Maurits van Nassau verwaltet - daher stammt der Name Mauritsstad. Maurits war von den Generalstaaten zum General Gouveneur von Niederländisch-Brasilien ernannt worden. Die Herrschaftsdauer von Maurits nimmt in der brasilianischen Geschichtsschreibung (im Gegensatz zu niederländischen) einen wichtigen Platz ein. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Publikationen über Niederländisch-Brasilien von einem brasilianischen Historiker, Joseé Antônio Gonsalves de Mello. Sein wichtigestes Werk, Tempo dos Flamengos, erschien 1947 auf Portugiesisch, erschien allerdings erst 2001 auf Niederländisch unter dem Titel Nederlanders in Brazilië (1624-1654). De invloed van de Hollandse bezetting op het leven en de cultuur in Noord-Brazilië.

Insgesamt dauerte die Zeit der Niederländer in Brasilien nur 24 Jahre. Nach zwei entscheidenden Schlachten bei Monte Guararapes und die Belagerung von Mauritsstadt durch portugiesische Truppen musste das Gebiet 1654 endgültig an die Portugiesen abgetreten werden.

Das Erbe von Maurício de Nassau

Maurício de Nassau, 1637
Willen Jacobz Delff (1.0)

Maurits war dafür bekannt, dass es ihm als einer der wenigen europäischen Verwalter seiner Zeit nicht ausschließlich darum ging so viel Gewinn wie möglich aus der Kolonie zu schlagen. Selbstverständlich spielten Handel mit Zucker und Sklaven auch unter Maurits von Nassau eine zentrale Rolle. Maurits zeigte aber auch Interesse für das Land selbst und investierte Geld und Wissen.

Maurits ließ einen niederländischen Architekten, Pieter Post, aus den Niederlanden kommen, der Mauritsstad den neuesten stadtbaukundlichen Erkenntnissen zufolge anlegen sollte: mit einem geometrischen Grundriss, mit Plätzen und Grachten und mit zwei Brücken, die die Inseln auf den Mauritsstad gebaut war, mit dem Festland verbanden. Pieter Post hatte zusammen mit Jacob van Campen auch den Stadtpalast von Maurits in Den Haag – das Mauritshuis (Mauritshaus) - entworfen.

Frans Post, Rio São Francisco
The Yorck Project (1.0)

Die Dokumentation der Geschehnisse in Niederländisch-Brasilien trug Maurits an den Geschichtsschreiber Caspar van Baerle weiter, der 1647 das Werk Rerum per octennium in Brasilia publizierte, mit Karten der gesamten Nordostküste Brasiliens.

Ein dritter bekannte Name aus der Kulturgeschichte Niederländisch-Brasiliens ist der des Kunstmalers Frans Post (der Bruder des Architekten Pieter Post). Er bekam den Auftrag Niederlassungen und Landschaften in Niederländisch-Brasilien auf Leinwand festzuhalten. Nicht zuletzt hat Frans Post ca. 160 Malereien angefertigt: zahllose von Mauritsstad, aber auch vom São Francisco-Fluss, von Frederikstad in Paraíba (dem heutigen João Pessoa) und von der Insel Itamaracá (heute ein beliebtes Ferienziel u.a. von Niederländern).

Zur Israel
Foto: U. Vogl (CC0 1.0)

Außer als Wohltäter war Maurits auch dafür bekannt ein aufgeklärter Verwalter zu sein, der danach strebte gute Kontakte mit der örtlichen Bevölkerung zu pflegen. Er erließ außerdem ein Gesetz für religiöse Toleranz das jüdische Familien aus Amsterdam dazu ermutigte sich in Mauritsstad niederzulassen (nach dem Abzug der Niederländer flüchteten viele nach Surinam). 1640-41 errichteten sie auf der Ilha do Recife die erste Synagoge in der neuen Welt und nannten sie 'Zur Israel'. Die Hauptstadt der Ilha do Recife hieß bis zum Abzug der Niederländer Jodenstraat und wurde danach in Rua do Bom Jesus. umgetauft. Seit 1992 existiert wieder ein Schild auf dem neben Rua do Bom Jesus auch Rua dos Judeus steht.

Recife heute (Rua da Aurora, Boa Vista)
Foto: U. Vogl (CC0 1.0)

Im heutigen Recife sind nur noch wenige Spuren von Niederländisch-Brasilien oder 'Brasil holandês' zu finden. Das Fort dass die Niederländer 1631 auf der Insel Antônio Vaz errichten ließen, das Fort Cinco Pontas, steht noch, andere Gebäude aus der Niederländerzeit wie der Boa Vista-Palast mussten dagegen neuen Bauvorhaben weichen. In der Synagoge 'Zur Israel' wurde ein Museum eingerichtet und die Brücke zwischen der Ilha do Recife und Antônio Vaz trägt den Namen Ponte Maurício de Nassau. Der architektonische Laie entdeckt hier und da noch Häuser, die aufgrund ihrer Bauweise an niederländische Grachtenabschnitte erinnern (allerdings in viel bunterer Ausführung).

Website der
Faculdade Maurício de Nassau
in Recife

Während spürbare Spuren Niederländisch-Brasiliens in Recife eher selten sind, ist der Bekanntheitsgrad Maurício de Nassaus auch nach über 450 Jahren noch immer (oder erneut?) sehr hoch. Noch höher als alles was mit 'Brasil holandês' im Allgemeinen und mit Maurício de Nassau im Besonderen zu tun hat, hat deutlich eine positieve connotatie. Malereien von Frans Postgehören zu den gefragtesten und teuersten in Nord-Ost-Brasilien und im Instituto Ricardo Brennand wurde 2002 eine Dauerausstellung über Niederländisch-Brasilien eingerichtet. Außerdem hat eine private Hochschule in Recife, die 2003 gegrünet wurde, Maurits van Nassau als Gallionsfigur gewählt. Auf der Webseite derFaculdade Maurício de Nassau kann man lesen, dass sie 'zu Ehren des Grafen João Maurício de Nassau-Siegen'. gegründet worden ist. Es wird betont, dass Maurits von Zeitgenossen 'Santo Expedito' genannt wurde, der ‚Schutzpatron derjenigen, die das Unmögliche möglich machen wollten‘.

Im Rahmen der großen Migrationswelle nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten wieder viele Niederländer nach Brasilien aus: Niederländische Migranten gründeten die Orte Holambra (1948) und Castrolanda(1951). In Castrolanda steht heute das 'Memorial da Imigração Holandesa', außerdem gibt es die 'Grupo Folclórico Holandês'.

Die Geschichte des WIC ist bei Den Heijer (1994) beschrieben. Für die Geschichte Niederländisch-Brasiliens sind Gonsalves de Mello (2001) und Boxer (1957) zu empfehlen. Außedem gibt es zu diesem Thema ein reich illustriertes Buch von Herkenhoff (1999). Auf das Leben von Maurits van Nassau wird in Van den Boogaart & Duparc (1979) und in Brunn (2008) eingegangen. Über die heutige Bedeutung von Maurits in Nordostbrasilien gehen Stols (1991) und Vogl (2008) ein.